Kein Ende in Sicht

Am Mittag vor dem Start hatte die Familie meiner Frau noch ein traditionelles Ritual für die Pachamama(Muttererde) organisiert. Bei dem Ritual bittet man unter anderem Pachamama um Erlaubnis, in meinem Fall diese Strecke zu benutzen. Dieses Ritual gab mir noch das letzte bisschen Motivation und stimmte mich richtig auf das Everesting ein. Da der Start für 0:00 geplant war, versuchte ich dann noch ein paar Stunden zu schlafen. Man kann sich vorstellen, dass ich nicht wirklich schlaf finden konnte. Nichts desto trotz machte wir uns pünktlich auf zur Strecke. Ziemlich genau um 0:00 begann ich dann auch das Everesting am 11.11.🥳

Direkt nach dem Start kam auch direkt der erste Motivationsschub. Meine Frau hatte mit ihrer Familie einige Motivationsprüche auf die Straße gemalt und sogar einen Spruch passend zum 11.11. An eine Hauswand.

Die ersten Wiederholung liefen dann auch ziemlich problemlos. Alles natürlich unter dem Umstand, dass der Körper einfach weniger Sauerstoff zu Verfügung hat und gerade die steilen Abschnitte jedesmal harte Arbeit sind. Was mich die ersten Stunden allerdings am meisten nervte, waren die Hunde. Bei vielen Häusern entlang der Strecke bellten die Hunde jedesmal und liefen teilweise auf die Straße um mich fort zujagen. Irgendwann gewöhnt man sich daran. Meine größte Sorge war, dass die gesamte Nachbarschaft wegen mir kein Augen zu macht. Gegen zwei bis drei schliefen dann aber auch die meisten Hunde ein und ich genoss auch ein bisschen die Ruhe und die leere Strecke.

Unterdessen wurde es zum Morgen hin immer kälter. Zwischen 4-5 waren es noch knapp 0 Grad. In diesen Stunden hatte ich es wahrscheinlich sogar besser als die wackeren Helfer, die diese Stunden im Auto an der Strecke ausharrten. Danke an Francia❤️, Luis und Diego. Einmal die Stunde gesellte ich mich kurz zu ihnen, um etwas zu essen und mich wärmer anzuziehen.

Ich hatte mich sehr auf den Sonnenaufgang gefreut, leider war es dann doch sehr Nebel verhangen und so hatte ich so gegen sechs auch mein erstes Tief. Ich war bereits sechs Stunden unterwegs. Hatte bereits 26 von 78 Wiederholungen absolviert und war auch schon ganz schön erschöpft. Hier fing es bereits an, das ich nicht mehr gut feste Nahrung zu mir nehmen konnte. Durch die ständige erschwerte Atmung ist der Körper nicht mehr in der Lage feste Nahrung richtig zu verarbeiten. Hier hatte ich auch bereits das Gefühl nicht mehr tief einatmen zu können. Doch der nächste Motivationsschub war bereits im Anflug.

Vor zwei Jahren war die ursprüngliche Motivation für dieses Everesting, dass Bolivien noch ein weißer Fleck auf der Everesting- Weltkarte war. Ich wollte der erste sein. Bis mir dann Ariel Conitzer zuvor kam. Schon in Deutschland hatte ich den Gedanken ihn zu kontaktieren. Ich dachte es wäre eine schöne Geschichte, wenn er mich ein paar Meter begleiten würde. Als wir ihn dann kurz vor dem Everesting kontaktierten, war er auch sofort total motiviert und so kam er gegen sieben Uhr tatsächlich an die Strecke. Und aus den paar Metern wurden über 4000Hm, die er mich begleitete. So absolvierte er selber eine Halb-Everesting an diesem Tag. Später kam auch noch sein Bruder an die Strecke, der mich bis zum Ende begleitete. Und ich kann schon vorweg nehmen, dass ich nicht weiß ob ich das Everesting ohne die beiden zu Ende gebracht hätte. Mental war das eine riesen Unterstützung. Danke an Ariel und Cristian Conitzer!

Die nächsten Stunden fielen mir in Begleitung wieder etwas einfacher, so dass ich die Motivation nutzte um relativ große Abschnitte ohne Pause durchzufahren. Ich krieg ja sowieso nichts runter, dachte ich mir. Was ich in der Zeit aß war etwas Milchreis, der rutschte noch ganz gut runter. Ab und zu würgte ich mir noch einen Riegel oder eine Banane runter und natürlich versuchte ich zumindest ausreichend zu trinken. In Form von Wasser mit süßen Getränken gemischt. Jedesmal nachdem ich mich verpflegt hatte, fielen mir die Höhenmeter allerdings deutlich schwerer. Obwohl ich nur kleine Mengen zu mir nahm, hatte ich das Gefühl so voll zu sein, dass ich nicht richtig einatmen konnte. Ich hatte einfach das Gefühl meinen Körper nicht mit genug Sauerstoff versorgen zu können, um über die steileren Abschnitte zu kommen. Die Strecke hat am Ende ein ca. 500m langes Stück mit über 10%. Mein Gott habe ich dieses Stück verflucht. Es war wirklich jedesmal eine Qual. Und zu dem Zeitpunkt wusste ich, dass ich noch ca. 38 mal da hoch muss.

Es war bereits Mittag und gegen 13 Uhr wollte ich meine große Mittagspause machen. Wir kam dann auch so gegen 13:30 zur Pause an. Das heißt ich war so eine halbe Stunde nach meinem Zeitplan. Allerdings holten mich hier die Anstrengungen ein und wahrscheinlich auch die zu geringe Verpflegung. Ich wusste ich muss jetzt etwas essen. Aber ich konnte nicht. Ich hatte Probleme zu atmen, etwas Schwindel und Übelkeit. Ich wollte einfach nur liegen und das tat ich dann auch. Fast eine Stunde machte ich Pause und befasste mich mit dem Gedanken abzubrechen. Ich glaube zu dem Zeitpunkt hatte ich so 6100Hm. Vom Gefühl her gar nicht mehr soweit weg. In der Realität bedeutete das aber auch noch 24mal diesen Anstieg hoch, inklusive dem Steilstück. Ich beschloss meinem Körper eine längere Pause zu geben und es dann noch einmal zu probieren. Ich erinnere mich nicht mehr was ich in der Pause eigentlich zu mir nahm. Aber ab dann stellte ich komplett auf Gels und süße Getränke um und es war erst 14:30.

Was mich die ganze Zeit motiviert hat war die große Unterstützung. Von der Familie und von vielen „vecinos(Nachbarn) “ aus Japari. So haben sie zum Beispiel an der Stelle wo wir immer gedreht haben Zeichen auf die Straße gemalt, um den Autos zu signalisieren vorsichtig zu fahren. Immer wieder sind Leute gekommen um uns zu begrüßen und um uns zu unterstützen. Hier spielt Radsport zwar so gut wie keine Rolle. Doch trotzdem haben sie die Leistung anerkannt und waren sehr interessiert. Nur das ich Probleme wegen der Höhe habe, haben viele nicht verstanden.

Nach der längeren Pause kam ich tatsächlich wieder mehr in einen Rhythmus. Wir fuhren jetzt immer 4er Sätze. 4 Wiederholungen und dann Pause. 4 mal konnte ich immer noch fahren, spätestens dann brauchte ich immer eine Pause. So kam ich langsam vorwärts. Noch 24. Dann noch 20. Dann noch 16. Ab hier war es reine Willenskraft. Eigentlich konnte ich nicht mehr. Aber je näher man ans Ziel kommt desto schwerer fällt es einem auch aufzuhören. Ich wollte es einfach nur noch zu Ende bringen. Es wurde langsam Abend und im Abendlicht kamen dann noch schöne Blicke auf den Illimani zustande.

Ich habe dann nicht mehr so viele Erinnerungen. Ich wollte eigentlich unbedingt noch im hellen aufhören. Doch da ich deutlich hinter dem Zeitplan hing, wurde es so gegen sieben dann doch wieder dunkel. Die Dunkelheit hat mir mental noch einen drüber gezogen. Einerseits wollte ich einfach nicht mehr diesen sch… Berg hoch. Doch andererseits wollte ich es einfach zu Ende bringen . So oder so: Es sollte einfach zu Ende sein! Ich wollte auch keine Pause mehr machen. Ich glaube es waren die letzten 8 Wiederholungen, die ich ohne Pause durchzog. Als es dunkel war nahm der Verkehr dann nochmal deutlich zu. Zusätzlich war mein letztes Licht mit Akku nicht besonders stark und es viel mir schwer mich noch zu konzentrieren. So hatte ich während der letzten Wiederholungen einige mulmige Gefühle, besonders während der Abfahrten.

Ich weiß nur noch, dass ich das letzte Mal stöhnend das Steilstück hoch bin, die Aktivität gespeichert habe und dann ein letztes Mal die Abfahrt runter schlich. Als ich dann endgültig vom Rad abstieg bin ich kurz emotional etwas zusammen gebrochen. Ich fühlte mich einerseits total leer, andererseits waren es viel zu viele Emotionen.

Es war bereits 21 Uhr. Die letzten die noch da waren setzten mich dann mit einer Decke ins Auto. Wenig später ging ich zitternd und ungeduscht ins Bett. Nach einer unruhigen Nacht, ging es mir am nächsten Tag schon wieder überraschend gut. Insbesondere meine Beine fühlen sich nur wenig belastet an. Was mir nochmal gezeigt hat, dass es in erster Linie die Höhe war, mit der mein Körper zu kämpfen hatte. Es war als würden meine Beine ständig nur im Energiesparmodus arbeiten. Weil ich ihnen gar nicht genug Sauerstoff zur Verfügung stellen konnte um härter zu arbeiten. Mein Organismus hingegen hat an allen Ecken und Enden rebelliert.

Insgesamt war ich für die 8848HM fast 21 Stunden unterwegs und habe dabei 266km zurück gelegt. Zusammenfassend muss ich sagen, dass es in erster Linie ein mentaler Kraftakt war und ein Kampf gegen Signale des eigenen Körpers.

NIE WIEDER EVERESTING!

✌️


5 Antworten zu “Kein Ende in Sicht”

  1. Ganz toll erzählt, man kann im Nachhinein noch etwas besser begreifen, was Du da gemacht hast! Und der Schluss beruhigt mich 😁 Schöne Fotos, Francia!

  2. Allergrößten Respekt, so oft eine >10% Rampe in der Höhe sich hochzukämpfen, ist schon der Wahnsinn, ich kämpfe hier schon im Flachland mit solchen Steigungen. Alles Gute bei der Regeneration.
    Gruß in die Höhe. Rainer

  3. Bene, das liest sich so stark und so weich gleichzeitig. Super tolle Leistung! Toll, dass Ariel und sein Bruder, Deine Familie, die Nachbarn und so viele Menschen Dich unterstützt haben. Was für eine zusammenführende, starke Aktion. Super toll! Ich bewundere Dich dafür*

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